"Wir sind keine Fangirls oder Fanboys"
Die stellvertretende „profil“-Chefredakteurin und Innenpolitik-Ressortleiterin Eva Linsinger ist bekannt für ihre kritischen Interviews und messerscharfen Analysen der österreichischen Innenpolitik. Mit Inside Media spricht sie über journalistische Distanz und darüber, was hinter dem Koalitionskrach um das EU-Renaturierungsgesetz steckt.
Von Francesca-Evamaria Csepregi und Anna Kiss
Wieso hast du dich anfänglich für das Ressort Innenpolitik entschieden?
Mich hat Politik immer wahnsinnig interessiert. Es war schon als Kind ein Höhepunkt, die Zeit im Bild mit meinen Eltern anzuschauen – viele andere Nachrichtensendungen gab es ja damals nicht, Privatfernsehen auch nicht. Ich wollte schon immer politische Journalistin werden.
In den vergangenen Jahren haben wir zahlreiche innenpolitische Krisen erlebt. Welches Ereignis ist dir besonders in Erinnerung geblieben?
In den letzten Jahren hat eine unfassbare Daueraufregung in der Innenpolitik geherrscht; die Flüchtlingskrise, der fast einjährige Versuch, einen Bundespräsidenten zu wählen, Ibiza, Schwarz-Blau, Corona – es ging in einem durch. Vor allem die Zeit nach dem Ibiza Video ist mir in Erinnerung geblieben, als erstmals eine Regierung abgewählt wurde und danach der Bundespräsident eine ExpertInnenregierung einsetzte unter der ersten Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein. Ich habe bis dahin das Amt des Bundespräsidenten für ein etwas verstaubtes Amt gehalten. Aber in solchen Krisen ist er doch höchst notwendig. Und dass die FPÖ nicht einmal fünf Jahre nach dem Ibiza-Skandal Nummer Eins bei den EU-Wahlen und in Umfragen werden würde, hätte ich für unmöglich gehalten.
Woran liegt dieses rasche Erstarken der FPÖ deiner Meinung nach?
Die Coronapandemie war eine Art Wiederbelebungsprogramm für die FPÖ. Dazu kamen eine ganze Menge Korruptionsaffären in der ÖVP. Das hat den Eindruck hinterlassen ‚das machen ja eh alle, die FPÖ ist nicht allein mit ihrer Ibiza-Geschichte‘. Die FPÖ hat schon mehrmals nach Krisen ein Comeback geschafft, aber dass es diesmal so schnell gegangen ist, hätten ich und viele andere 2019 nicht für möglich gehalten.
Ganz allgemein gesprochen: Ab wann ist eine Geschichte für dich eine Geschichte?
Es ist schwierig, das in der Allgemeinheit zu beantworten. Wenn sie aktuell ist, wenn sie viele Menschen betrifft, wenn sie Relevanz hat und wenn sie Auswirkungen hat oder zumindest eine dieser Kriterien erfüllt.
Inwiefern hat sich der Ton in der Innenpolitik in letzter Zeit verändert?
Das ist ein längerer Prozess. Als ich begonnen habe mit dem politischen Journalismus gab es das ORF-Monopol, also keine privaten Fernseh- und Radiosender. Es gab auch keine Online-Medien. Dafür waren die Redaktionen viel besser personell besetzt als heute, heute sind die politischen Stäbe, die Presseabteilungen und PR-Teams in Ministerien oder im Kanzleramt größer als viele Redaktionen. Noch wesentliche Unterschiede: Die Innenpolitik war viel männlicher, autoritärer und langsamer. Das immer raschere Tempo – instant-democracy im Fachausdruck – führte zu Veränderungen, die nicht immer nur zum Besten sind. Manchmal wenn ich zuhöre, was PolitikerInnen von sich geben, denkt man sich, es wäre nicht schlecht, einen Tag nachzudenken, um aus dieser Daueraufgeregtheit herauszukommen.
Kannst du hier ein konkretes Beispiel nennen?
Es gab in den letzten Jahren eine Vielzahl von Krisen, die Corona-Pandemie, der Krieg mitten in Europa, die Energiekrise, die Teuerung etc. Da wäre es manchmal gut, ein bisschen grundsätzlicher nachzudenken. Ein Beispiel: Die deutsche Ex-Kanzlerin Angela Merkel hat die Corona-Pandemie eine „Zumutung für die Demokratie“ genannt und das auch gut begründet. Solche kritischen, reflektierenden Sätze finde ich in Österreichs Politik zu selten. Das ist ein Mit-Grund für die doch große Politikverdrossenheit, die es in Österreich gibt.
Wir haben aktuell eine Koalitionskrise nach dem Ja von Umweltministerin Leonore Gewessler zum EU-Renaturierungsgesetz. Kritiker werfen dem grünen Koalitionspartner politisches Kalkül vor. Siehst du hier ein wiederkehrendes Verhalten oder Muster, gerade im Vorfeld von wichtigen Wahlen?
Es ist diesmal eine Sondersituation weil klar ist: eine Regierung aus ÖVP und Grünen wird es nach der Wahl nicht mehr geben, das geht sich nicht aus. Beide Parteien haben bei der EU-Wahl verloren und beiden ist daran gelegen, ihr Profil zu schärfen. Das gelingt ihnen, indem sich die Grünen als „Klima-Fighter“ inszenieren und die ÖVP sich als Auto-und-Verbrenner-Schutzmacht positioniert. Dieser Konflikt wird schon fast lustvoll in die Höhe gefahren. So etwas passiert in Vorwahlzeiten, es ist aber schon ungewöhnlich, dass es zwischen aufrechten Regierungsparteien dermaßen kracht.
Man spricht manchmal von einem Naheverhältnis zwischen Politikern und Journalisten. Diese treffen regelmäßig aufeinander, reden auch off-record miteinander. Wie wahrst du als Innenpolitik-Journalistin die nötige Distanz?
Es gibt in Österreich Verhaberung, sie ist teils zu groß. Das hat auch damit zu tun, dass es zwischen JournalistInnen und PolitikerInnen in Österreich leider nicht nur eine Informationsbeziehung, sondern auch eine Geschäftsbeziehung gibt – durch die Unsitte der Regierungsinserate. Das halte ich für eine ungute Vermischung, die dazu führt, dass manche Medien nicht die Mächtigen kontrollieren – wie es die Aufgabe der Medien wäre -, sondern sich mit den Mächtigen verhabern und nach unten treten. Seit diesen berühmten Chats, über die auch zwei Chefredakteure gestolpert sind, überlegen es sich hoffentlich ein paar mehr JournalistInnen, wie eng sie mit der Politik sind.
Wie viel Meinung darf es im Journalismus geben? Oder anders gefragt: Was darf der Journalismus nicht?
Er darf nicht dem Aktivismus verfallen. Es gibt das berühmte Zitat: Man soll sich nie mit einer Sache gemein machen, auch nicht mit einer guten. Wir sind BeobachterInnen, wir berichten und wir ergreifen nicht Partei. Wir argumentieren, wir sind keine AktivistInnen und wir sind keine Fangirls oder Fanboys, sei es von der Klimaschutzbewegung oder von einem Parteichef oder einer Parteichefin. Wir halten Distanz.
Hast du Tipps für die Interviewführung mit Politikerinnen und Politikern?
Was ich am schwierigsten finde, ist die Sprechblasen zu durchbrechen. Meine Tipps sind: Erstens, richtig gute Vorbereitung. Zweitens: Überlegen, wie ich sie überraschen kann. Mit welchen Fragen kann ich sie aus ihren sehr gut eingeübten Satzbausteinen bringen? Man kann etwa mit ganz neuen Dingen, mit denen sie vielleicht nicht rechnen, in das Interview gehen. Das gibt oft die interessantesten Antworten. Und: hartnäckig sein. Unterbrechen. Dranbleiben. Darauf bestehen.
Gibt es ein Interview, das dir besonders in Erinnerung geblieben ist?
Während der ersten Schwarz-Blauen Regierung habe ich die damalige Frauenministerin Elisabeth Sickl interviewt und bin draufgekommen, dass sie nicht den blassesten Schimmer hatte. Sie wusste nichts vom Gleichbehandlungsgesetz, für das sie zuständig war. Von allem möglichen anderen auch nicht. Sie war auch unerfahren genug, das auch zuzugeben. Wenig später war sie dann nicht mehr Ministerin.
Was ist oder was war die größte Herausforderung für dich als Frau im Journalismus?
Als ich angefangen habe, gab es keine weibliche Chefredakteurin, keine Ressortleiterin. Wenn es Frauen gab, dann im Kultur- oder Gesellschaftsressort und ich will das in keinster Form abwerten, aber auch deswegen hat mich die Politik-Berichterstattung gereizt. Diese Männerlastigkeit hat sich seither deutlich verändert. Es sind viel mehr und viele tolle Frauen unterwegs. Aber es gibt immer noch einen Überhang von männlichen Entscheidungsträgern in Medien und Politik.
Was würdest du an der Medienbranche oder Medienlandschaft in Österreich gerne ändern?
Weniger Abhängigkeit von der Politik, aufhören mit diesen Bestechungsgeldern der Regierungsinserate. Und der sehr kluge Politologe Fritz Plasser hat Österreich einmal eine „Boulevarddemokratie“ genannt – daher mehr Qualitätsmedien und weniger Boulevardmedien.
Hast du einen Rat für angehende Journalistinnen und Journalisten? Welche Eigenschaften braucht es, um im Journalismus erfolgreich zu sein?
Die Grundvoraussetzung ist Neugierde. Alles andere kann man lernen. Hinschauen, in welchem Bereich auch immer man arbeitet, immer dazulernen, neugierig sein, dranbleiben. Das halte ich für das Allerwichtigste.
Zur Person:
Eva Linsinger, geboren 1968 studierte Geschichte. Sie ist aktuell Innenpolitik-Chefin und stellvertretende Chefredakteurin beim Nachrichtenmagazin „profil“. Davor war die gebürtige Salzburgerin beim Standard und bei der Tageszeitung Kurier tätig. 2021 wurde sie für ihr Lebenswerk und ihre Vorbildfunktion für Frauen in der Medienbranche mit der goldenen „Medienlöwin“ ausgezeichnet.