“Ich bin nicht das Sprachrohr der zwei kriegsführenden Parteien”

Als Ressortleiterin der Außenpolitik hat Gudrun Doringer schon vor der russischen Invasion über die Ukraine berichtet. Dafür muss sie unterschiedliche Quellen prüfen. Welche Rolle Propaganda und die russische Medienpolitik dabei spielt.  

Von: Gülselin Aktas

Gudrun Doringer ist als Außenpolitikjournalistin viel gereist. Unter anderem hat sie Cox Bazar, ein Flüchtlingslager in Bangladesch, besucht.

Vor deinem Wechsel in die Außenpolitik hast du über Lokales, Kultur und Sport berichtet. Wenn du nicht gewechselt hättest, in welchem Ressort wärst du gelandet? 

Ich glaube im Lokalteil. Da habe ich gestartet und das hat mir viel Spaß gemacht. An einem Tag bin ich mit dem Bürgermeister in Gummistiefeln an der Salzach gestanden und wir haben Fische ausgelassen. Am nächsten Tag war ich bei einem Bäcker, der Schwierigkeiten hatte, seine Filiale zu halten. Es gab ständig persönliche Begegnungen. Joe Biden ruft nie an und sagt, dass ich irgendwo einen Fehler gemacht habe. Im Lokalteil ist das Kontrollorgan sehr nah. Das macht es spannend.  

Was genau fasziniert dich an dem Ressort Außenpolitik? 

Eigentlich geht es darum, wie Leute woanders leben. Jeder möchte Sicherheit, eine Perspektive für sich und seine Familie. Der Rahmen dafür ist die Politik. Deshalb interessiert es mich, wie unterschiedlich Regeln des Zusammenlebens gestaltet werden. Es gibt viele Länder und Konflikte auf der Welt. Ich lerne viel über Geschichte oder politische Prozesse. Auch Begegnungen wie im Lokalen versuche ich immer wieder in der Außenpolitik einzubringen, weil es am Ende um Menschen geht. Die zu Wort kommen zu lassen, ist das das, was für mich die Würze in unserem Beruf ausmacht. 

Seit wann bist du jetzt in der Außenpolitik? 

Seit 2011.  

Wie kam es dazu?  

Der ausschlaggebende Punkt war, dass damals so viele Flüchtlinge auf Lampedusa gestrandet sind. Ich habe die Kollegen in der Außenpolitik gefragt, warum sie nicht hinfahren. Die meinten, ich könne ja fahren. Dann war ich auf Lampedusa und konnte weder Italienisch oder Arabisch. Das war eine naive Aktion, die aber aufgegangen ist. Ich habe es geschafft jemanden zu finden, mit dem ich reden konnte. Dazu habe ich eine Reportage abgeliefert. Das war dann der Wechsel in die Außenpolitik. 

Ein Thema, dass dich als Journalistin seit langem begleitet, ist die Ukraine. Der Krieg ist offiziell mit der Invasion der russischen Armee im Februar 2022 ausgebrochen. Einen Konflikt gibt es aber schon länger. Wie überraschend war da der Kriegsausbruch noch für dich?  

Trotzdem sehr. Es hat die Drohung zwar gegeben, aber ich war sehr überrascht, dass es tatsächlich passiert. Weil es doch einfach ein Tabubruch war, ein souveränes Land in Europa anzugreifen. Das hätte ich nicht vermutet.   

Wie hast du es geschafft, dich in das Thema einzuarbeiten?  

Wie bei allen anderen Themen versucht man in kurzer Zeit viel Hintergrundwissen anzuhäufen. Wir haben aber jemanden finden müssen, der für uns aus der Ukraine schreibt. Einen Kollegen haben wir in Polen gehabt. Es hat aber nicht gereicht, dass jemand aus Polen ab und zu hinfährt. Dann haben wir geschaut, wen wir anheuern können. Das war auf der einen Seite eine junge Frau, Daryna Melashenko. Der Vorteil war, dass sie hervorragendes Deutsch spricht. Die hat bei der Radiofabrik in Salzburg schon mal ein Praktikum gemacht und in Kiew gelebt. Sie hat dann für uns geschrieben und ein Tagebuch verfasst: Notizen aus dem Krieg. 

Im Gegensatz zum Lokalressort ist es in der Außenpolitik schwieriger, sich ein eigenes Bild vor Ort zu machen. Wie verschaffst du dir deine Informationen? 

Ich versuche mir einen Überblick zu verschaffen und abzugleichen. Stimmt das überein mit den Fakten, die ich bereits kenne? Stimmt das mit den Bildern überein? Kann man Wetterlagen, Silhouetten von Städten, Anhaltspunkte vergleichen? Kann ich jemanden anrufen, der gerade dort war oder das Land gut kennt? Welches Interesse hat die Quelle, die mir eine Information geben will? All das sind Fragen, die man mitberücksichtigen muss. Trotzdem kann ich nicht immer zu 100 Prozent sagen, dass dieses Foto oder diese Information jetzt wirklich stimmt. Dann mache ich transparent, dass ich es nicht weiß. Ich muss dem Leser und der Leserin mitteilen, wenn diese und jene Information nicht zu überprüfen ist.  

Und wie kannst du den Kontakt zu diesen Menschen knüpfen, die vor Ort sind? 

Daryna Melashenko war ein wichtiger Knotenpunkt. Sie hat uns Interviewpartner weitervermittelt. Ich habe auch einmal bei einer Veranstaltung des Salzburg Global Seminar teilgenommen. Dort gab es das Civil Society Forum, wo 40 junge Ukrainerinnen und Ukrainer da waren. Mit ihnen bin ich immer noch in Kontakt. Das war ein wahnsinniger Schatz, den ich an Visitenkarten mitgenommen habe. Über die kann ich mir oft ein Bild machen oder Interviewpartner holen. Man kann es auch über die Botschaft probieren. Ich habe zum Beispiel die Vize-Regierungschefin Olga Stefanishyna für ein Interview gekriegt. Oder man schreibt jemanden an. Letztes Mal habe ich einen Soziologen an der Uni in Kiew angerufen. Es ist ja nicht so, dass da die Leute nur im Bunker sitzen. Dort sind immer noch Strukturen aufrecht. Es gibt Dinge, die im großen Teil des Landes funktionieren.  

Wenn es schwierig ist, alles auf Richtigkeit zu prüfen, wie gehst du mit Kriegspropaganda um?  

Kriegspropaganda ist für die kriegsführenden Parteien ein wichtiges Instrument. Bedrohung führt dazu, dass Menschen eher bereit sind, wo mitzuziehen oder Opfer in Kauf zu nehmen. Deshalb werden die Kriegstrommeln ganz laut getrommelt. Auch auf ukrainischer Seite. Wir nennen die Quellen immer klar, damit die Leserschaft weiß, woher die Information kommt. Und ich bin nicht das Sprachrohr der zwei kriegsführenden Parteien. Deshalb liegt es an uns, zu werten, zu filtern und nicht alles eins zu eins weiterzugeben.  

Gibt es etwas, worauf du im Vergleich zu anderen Krisen in deiner Berichterstattung über den Ukraine-Konflikt achten musst? 

Auf jeden Fall ist die eigene Betroffenheit ein Punkt. So zynisch das auch ist: Es betrifft uns mehr, dass ein Krieg 1000 km von Wien entfernt ist, als dass im Sudan gekämpft wird. Das hat Einfluss auf unser aller Leben. Da kommen eigene Gedanken und Sorgen dazu, die auf einmal in unsere Realität herüberschwappen. Das hat man im Kopf, wenn man darüber schreibt. 

Was hast du sonst noch im Hinterkopf, wenn du schreibst? 

Wir haben auch eine Kollegin und einen Kollegen in Moskau. Worauf ich da sehr achten muss, ist, dass sie unter sehr schwierigen Bedingungen arbeiten und unter Beobachtung stehen. Oder man versucht Einfluss darauf zu nehmen, wie die Leute schreiben. So funktioniert Zensur. 

Denkst du oft über die medienpolitische Einstellung von Putin nach? Er ist ja bekanntlich kein Fan von Medien.  

Natürlich denke ich drüber nach. Ich bin in der komfortablen Situation, dass ich hier sitze und mir keiner droht. Also nicht physisch und nicht so, dass ich um mein Leben fürchte oder im Gefängnis lande. Es gibt Anrufe, die unangenehm sind. Das nehme ich hin, das gehört zum Job dazu. Aber um meinen Kollegen und um meine Kollegin mache ich mir viele Gedanken.   

Wie gehst du damit um, wenn du erschreckende Bilder erhältst? 

Man versucht sich eine innere Firewall aufzubauen. In der Außenpolitik kriegt man viele Bilder. Gerade nach dem 7. Oktober, wo das Massaker in Israel passiert ist, habe ich mich bemüht, dass ich für unser Ressort Supervision kriege. Ich habe gemerkt, dass wir da Unterstützung brauchen. Das sind einfach fürchterliche Bilder, wo die Firewall nicht mehr reicht. Man muss darüber reden, wie man damit umgeht oder wie man Strategien findet, damit man wieder heimgehen kann und nicht den ganzen Abend darüber nachdenkt. Wir haben jemanden gehabt, der mit Blaulichtorganisationen zusammenarbeitet und mit Traumata sowie Sekundärtraumata zu tun hat. Davon spricht man, wenn man zwar nicht dort ist, aber diese Bilder auf dem Bildschirm sieht. Er hat uns wahnsinnig weitergeholfen.  

Wie lange habt ihr die Supervision in Anspruch genommen? 

Das waren vier Sitzungen. Ist nicht sehr engmaschig, aber es gibt einen Raum, wo du reden kannst. Wir haben den ganzen Tag mit Konflikten, Kriegen und argen Geschichten zu tun. Dann gehst du raus und lebst in einem Land, das sicher ist. Manchmal wundert man sich schon, wie scharf dieser Kontrast ist.  

Hat es in deiner Berichterstattung zum Ukraine-Krieg etwas gegeben, das wiederum positiv war?  

Mit Daryna Melashenko war der Kontakt über eine Weile sehr intensiv. Sie war dann zwischendrin in Salzburg. Da habe ich sie persönlich kennengelernt. Das ist das einzig Schöne, das mir dieser Krieg beschert hat. Ich habe eine junge, witzige, lebensfrohe und sehr intelligente Frau kennengelernt.  

Der Krieg hält immer noch an. Ukraine-Korrespondent Christian Wehrschütz hat in einem Interview von einem Gewöhnungseffekt gesprochen. Neue Krisen würden alte verdrängen. Wie gehst du damit als Journalistin um, wenn sich Kriege in die Länge ziehen?  

Diesen Gewöhnungseffekt spüren wir auch bei den Leserinnen und Lesern. Jetzt gibt es den Krieg im Gazastreifen, der Ablenkung und Aufmerksamkeit von dem in der Ukraine abzieht. Der tobt aber weiterhin. Wir dokumentieren Bewegungen nicht täglich, sondern versuchen zu personalisieren. Also über persönliche Geschichten oder Themen einen Zugang zu finden: Keiner hat mehr Motivation an die Front zu gehen. Woran liegt das? Wie wirkt sich das bei einer freiwilligen Armee aus? Das war am Anfang der große Erfolgsfaktor der ukrainischen Armee. Die waren freiwillig dort. Und jetzt muss man immer mehr zum Zwang übergehen, weil die Leute nicht mehr freiwillig gehen. Solche Themen versucht man sich vorzunehmen und unter dem Fokus den Konflikt anzuschauen.   

Also du zeigst den Status quo und andere Perspektiven auf? 

Genau. Einmal habe ich eine Frau getroffen, die Zimmermädchen im Hotel Imlauer ist. Sie ist aus Kharkiv und mit ihren drei Kindern hier. Wochen später ist sie in die Ukraine gereist, da ihr Mann Urlaub von der Front hatte. Die Frau ist bei uns in Salzburg und fährt auf Urlaub hinter die Front. Damit kann man die Leserinnen und Leser wieder interessieren, weil das Nähe bedeutet.  

Jetzt berichtest du schon länger über die Ukraine. Wird es irgendwann ein Kriegsende geben? 

Das würde man sich wünschen. Putin sagt, er ist bereit zu reden. Aber er will nur reden, wenn die Grenzen, so wie sie jetzt sind, neu gezogen werden. Das bedeutet, dass die Ukraine einen großen Teil verlieren würde. Also ein Ende ja, aber zu welchen Bedingungen? Die Ukraine wird einer Einigung nicht zustimmen, so lange man nicht dahin zurückkommt, wo man vorher war. Ich fürchte, dass dieser Krieg sich noch in die Länge zieht. Das ist ein Abnützungskrieg. Man schaut, wer den längeren Atem hat. Putin hat von Anfang an darauf gezählt, dass die Solidarität mit der Ukraine bröckelt. Und genau das passiert vielerorts in europäischen Ländern.  

Zur Person:
Gudrun Doringer leitet das Ressort Außenpolitik bei den Salzburger Nachrichten. Gestartet hat sie bei dem Wochenzeitungsring des Verlages. Darauf folgten ein Wechsel in die Lokalredaktion und ein Abstecher in das Sportressort. Auch Kulturbeiträge gab es von Doringer während der Festspielzeit zu lesen. 2007 erhielt sie einen Preis als beste Lokaljournalistin Salzburgs.