„Die Meinung soll beim Zuschauer entstehen“
Die ServusTV-Moderatorinnen Diana Ortner und Caroline Pospischil führen beim Privatsender durch Nachrichten und Wahlsendungen. Warum persönliche Meinung in der Berichterstattung nichts verloren hat und wie sie Politikern Antworten entlocken, die die Zuseher wirklich interessieren, erzählen sie im Interview mit Inside Media.
Von: Anna Kiss
Was ist für euch das Spannende am Politikjournalismus?
Diana Ortner: Das Spannendste ist: Jeder Tag kann zum Aufregendsten des Journalistenlebens werden. Das ist das reizvolle an unserem Beruf. Einschneidende Tage waren etwa, als der Regierung von Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz das Misstrauen ausgesprochen wurde. Oder das Ibiza-Video und seine Folgen. Diese Momente, wo Dinge passieren, die unvorhergesehen sind oder unmöglich erscheinen und dann trotzdem passieren.
Caroline Pospischil: Wie bei Rücktritten. Solche Tage beginnen oft damit, dass du von Kollegen schon vorab etwas hörst, ein Raunen durch die Redaktionen geht – die Medienwelt in Österreich ist ja recht klein – und sich alle fragen: Okay, was ist da dran? Dann wird telefoniert und dann sitzt du bei den Pressekonferenzen und bist dabei, während solche Dinge passieren.
Was ist euer Zugang zur innenpolitischen Berichterstattung?
Ortner: Man muss jedem politischen Akteur seinen Standpunkt lassen, finde ich, und diesen dann natürlich auch kritisch hinterfragen. Zentral bei politischer Berichterstattung finde ich auch, herauszuarbeiten, was Entscheidungen oder Gesetze für den Zuseher, den Bürger konkret bedeuten. Wir machen das nicht für uns, sondern für die Menschen, die sich informieren wollen über unser Medium. Unsere Aufgabe ist es meiner Meinung nach komplizierte Vorgänge einfach zu erklären, herunterzubrechen, einzuordnen und einen Nutzen für den Seher zu schaffen.
Was kann bei Live-Wahlsendungen schief gehen?
Pospischil: Einiges. Bei Wahlen hast du einfach viele Informationen, Zahlen, Hochrechnungen. Es arbeiten Menschen daran, da können Fehler passieren. Oder auch technische Gebrechen, dass vielleicht einmal eine Grafik nicht kommt. Dann hast du ein, zwei Sekunden um zu entscheiden, wie du mit der Situation umgehst.
Und wie gehst du mit Hoppalas um?
Pospischil: Entschuldigen und Weitermachen. Ich habe noch nie erlebt, weder bei uns noch bei Kollegen, wo ich selbst Wahlsendungen angeschaut habe, dass etwas passiert ist, was man nicht wieder einfangen konnte. Diese journalistische Unmittelbarkeit macht auch die Wahlberichterstattung so besonders. Dass man mit einem Hoppala anders umgeht als vielleicht an einem Tag, wo ich fünfmal über etwas drüber schauen kann. Da sollte das nicht passieren.
Die ServusTV-Zentrale ist in Salzburg, es gibt eine Außenstelle in Wien. Caro, wenn du nicht moderierst, bist du im Wiener Büro. Diana du sitzt in der Zentrale in Salzburg. Was unterscheidet die geografischen Standorte – was sind Vor- und Nachteile?
Ortner: Ich erinnere mich an Zeiten, als unsere Wien-Stelle noch nicht so viel Gewicht und Manpower hatte. Das ist jetzt schon ein großer Gewinn und eine Synergie, weil das innenpolitische Leben sich einfach viel in Wien abspielt. Dieses „Nah dran sein“ kannst du dem Zuseher nur vermitteln, wenn du auch physisch vor Ort bist. Du musst die Stimmung bei Pressekonferenzen aufsaugen, Hintergrundgespräche führen.
Pospischil: Stimmung ist wichtig. Zum Beispiel wenn du im Ministerrat sitzt und merkst: Die beiden Koalitionspartner sind sich nicht grün bei einem Thema, das war ein Riesenkampf. Das kriegst du dann mit, bei Gesprächen mit den Mitarbeitern der Parteien, mit den Pressesprechern. Das kommt vielleicht im offiziellen Teil der Pressekonferenz gar nicht so rüber. Es ist wichtig, diese Stimmungen und Dynamiken zu verstehen.
Aber hat es auch einen Vorteil in Salzburg, etwas abseits vom innenpolitischen Leben zu sein?
Ortner: Ja, ich denke schon, dass es auch Vorteile bringt. Die kritische Distanz, die wichtig ist für unsere Berichterstattung, ist durch diese geografische Distanz auch stärker gegeben, denke ich. Und man darf nicht vergessen: Österreich besteht nicht nur aus Wien. Dadurch, dass die meisten großen Medienhäuser in Wien sind, liegt der Fokus automatisch dort. Und hier bringen wir vielleicht oft einen etwas anderen Fokus mit, können ein bisschen von „außen draufschauen“.
Pospischil: Du bist weniger drinnen in dieser doch recht kleinen Konstellation aus Medien und Politik in Österreich. Es ist schon ein Vorteil, einmal 300 Kilometer zurückzugehen und mir das aus der Vogelperspektive anzuschauen. Da entstehen dann in den Redaktionskonferenzen spannende Diskussionen, weil du einen anderen Blickwinkel hast.
Wie viel Meinung soll und darf es im Journalismus generell geben, oder anders gefragt: Was darf der Journalismus nicht?
Ortner: Natürlich wird man Informationen in einer Nachrichtensendung für den Seher einordnen. Aber meine persönliche Meinung hat überhaupt nichts in der Berichterstattung verloren. Der Zuseher soll sich darauf verlassen können, dass man mit einem professionellen Zugang die Lage abbildet, unterschiedliche Standpunkte zulässt und Themen von verschiedenen Seiten betrachtet. Unser Job ist es, neutral, offen und kritisch an die Dinge heranzugehen.
Pospischil: Meinung hat keinen Platz in einer Nachrichtensendung. Die Meinung soll beim Zuschauer entstehen. Wir als Journalisten sind verpflichtet, die Informationen, die wir sammeln und erarbeiten, den Zuschauern so zu präsentieren, dass die sich eine Meinung bilden können. Darüber hinaus muss jeder Journalist für sich selbst entscheiden, wie viel Privatmeinung er auf anderen Kanälen in die Öffentlichkeit trägt. Ich bin niemand, der auf Twitter seinen persönlichen Senf zu allem dazu gibt. Ich möchte nicht, dass wenn ich live im Fernsehen bin, jeder Mensch weiß, wie ich über die Situation denke, über die ich gerade berichte.
Es wird immer wieder von einem Naheverhältnis zwischen Politikern und Journalisten gesprochen – die treffen regelmäßig aufeinander, reden auch abseits der Kamera. Wie wahrt man die nötige Distanz?
Pospischil: Die Verflechtung zwischen Politik und Medien ist in Österreich schon sehr eng. Das hat Vorteile, weil du schnell an Informationen kommst. Hintergrundgespräche sind wichtig für die Einordnung. Man muss dieses Verhältnis aber als das bewerten, was es ist. Der Journalist möchte Informationen für seine Geschichte und der Politiker hat eine klare Agenda. Wenn ich mit einem Politiker spreche, weiß ich, wir sind hier nicht privat auf einen Kaffee, auch wenn die Kameras aus sind. Man redet dann vielleicht offener, aber man muss sich bewusst sein: Wir sind in einem Arbeitsumfeld. Es zählt das, was am Ende über die Medien in die Gesellschaft transportiert wird. Da hat man eine Verantwortung, die Distanz zu wahren und sich nicht irgendeine Agenda aufs Auge drücken zu lassen.
Ortner: Aber dieser direkte Zugang hat schon auch Vorteile. Deutsche Kollegen sind oft überrascht, wenn wir hier den Kanzler oder einen Minister im Interview bekommen, weil wir den angefragt haben. Das ist für die meisten deutsche Kollegen undenkbar, dass du beim Kanzler einfach ein Interview zum Thema X anfragst und das relativ spontan dann auch bekommst.
Habt ihr Tipps für die Interviewführung mit Politikern?
Ortner: Der Vorteil hier ist, dass man einem Profi gegenübersitzt, der solche Situationen gewohnt ist. Aber er will natürlich seine Botschaften platzieren. Es kommt auch darauf an, ob es ein aufgezeichnetes Interview ist. Da hat man Zeit, um Themen zu besprechen. Bei einem Live-Interview kann ich aber meist nur zwei oder drei Fragen stellen und muss gegebenenfalls freundlich, aber bestimmt den Interviewpartner zur nächsten Frage bitten. Wichtig ist ein respektvoller und wertschätzender Umgang. Ich ärgere mich über Interviews, wo es nicht um Inhalte, sondern nur darum geht, den Politiker vorzuführen.
Pospischil: Wissen ist Macht. Wenn ich weiß: Der erzählt mir einen Stuss oder lässt etwas weg, dann kann ich einhaken. Je besser ich vorbereitet bin, desto mehr kann ich journalistisch aus dem Gespräch herausziehen. Vorab frage ich mich immer: Was ist seine Agenda, was möchte der verkaufen? Das versuche ich dann zu antizipieren und zu hinterfragen. Natürlich passiert es, dass man sich nach einem Interview denkt: Da hätte ich mehr nachhaken müssen, da habe ich mich zu leicht mit einer Antwort zufrieden gegeben. Das ist dann ein Learning.
Was würdet ihr an der Medienbranche in Österreich gerne ändern?
Pospischil: Die Ausbildung von jungen Journalisten. Das funktioniert in Deutschland mit Volontariaten besser. Ich sehe oft junge Kollegen, die schon in ihrem sechsten Praktikum sind und schwer wo reinkommen. Man müsste junge Journalisten engmaschiger betreut an den Job heranführen und mehr Ausbildung in den Redaktionen betreiben. Journalismus ist ein Handwerk. Man muss dem Nachwuchs das nötige Rüstzeug für diesen Beruf mitgeben. Das wahrt à la longue die Qualität des Journalismus.
Was sind oder waren für euch die größten Herausforderungen als Frauen im Journalismus?
Ortner: Ich hatte nie das Gefühl, dass mir etwas verwehrt geblieben wäre, weil ich eine Frau bin oder es mir schwer gemacht wurde. Freilich, man muss sich schon beweisen: mit Kompetenz und Fleiß – aber das ist meiner Erfahrung nach unabhängig vom Geschlecht. Auch hier ist die Förderung von jungen Kollegen wichtig. Ich kann mich an alle Menschen erinnern, die mir in meinen Praktika geholfen haben, die sich die Zeit genommen haben, mich machen zu lassen und mir etwas zugetraut haben.
Pospischil: Als junge, 25-jährige Journalistin, die viel in der Innenpolitik gemacht hat, habe ich früher immer wieder schiefe Blicke bekommen und auch in den Antworten von Politikern gemerkt, dass sie mich nicht für voll nehmen, weil ich eine junge Frau bin. Das hat sich gewandelt. Es gibt viele tolle weibliche Role Models in der innenpolitischen Berichterstattung. Aber es gibt zu wenige Chefredakteurinnen in Österreich.
Zu den Personen:
Die gebürtige Pinzgauerin Diana Ortner (38) sammelte erste journalistische Erfahrungen bei der APA und dem ORF, bevor sie 2010 in der ServusTV-Nachrichtenredaktion berufliche Wurzeln schlug. Seit Anfang 2016 verstärkt sie das Moderatoren-Team. Ortner ist auch hinter der Kamera als Chefin vom Dienst und Redakteurin tätig. Reporter-Einsätze führten sie bereits nach Athen, Brüssel oder Beirut. Ihre Leidenschaft für den Journalismus entdeckte sie während des Studiums der Kommunikationswissenschaften, Recht und Wirtschaft in Salzburg. Privat hat Ortner auch eine klassische Gesangsausbildung genossen.
Nach dem Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaft, einer journalistischen Ausbildung und ersten Erfahrungen im Print-Bereich landete die Wienerin Caroline Pospischil (33) 2015 eher zufällig beim Fernsehen. Als Redakteurin, Reporterin und seit 2021 auch als Moderatorin berichtet sie bei den Servus Nachrichten über das, was in Österreich und der Welt passiert, von der Flüchtlingskrise bis hin zu Ibiza und den Folgen. In ihrer Freizeit ist sie am liebsten in der Natur, macht Sport oder liest ein gutes Buch.